INNA ZAGRAJEWSKI
Der Arme Ritter
Alexander Blok
frei übersetzt von Inna Zagrajewski
Einleitung und Kommentar von Wolfgang Kawelmacher
Publikation: Inna Zagrajewski. Der Arme Ritter. Gedichte. Alexander Blok frei übersetzt von Inna Zagrajewski. Frankfurt/M, 2008.
Es lebte in der Welt
der Ritter ...
Armer Ritter ...
(Alexander Puschkin)
Alexander Blok wurde im November 1880 als Sohn eines Juraprofessors und einer Übersetzerin in Sankt Petersburg geboren. Schon während seines Studiums der Philologie und der Rechtswissenschaften begann sein literarischer Erfolg: 1904 erschienen die „Gedichte über die wunderschöne Dame“ über die göttliche Weisheit in der Schönheit der Frau, 1907 folgte das berühmte Gedicht „Die Unbekannte“. Blok war einer der bedeutendsten jungen Vertreter des russischen Symbolismus und besaß zahlreiche Bewunderer. Als kluger und gebildeter Schriftsteller wurde er im vorrevolutionären Sankt Petersburg gefeiert und bejubelt. Als er 1909 das Erbe seines Vaters erhielt, begann für ihn eine Zeit des ausschweifenden Lebens.
Seine große Faszination für die Weiblichkeit zieht sich nicht nur durch seine Gedichte. Da er nicht nur mit großem Talent, sondern auch mit außergewöhnlicher Schönheit gesegnet war, hatte Alexander Blok riesigen Erfolg bei Frauen und hatte zahlreiche Affären. An seiner Ehefrau hing er trotzdem mit unendlicher Liebe, die allerdings weitgehend platonisch blieb. Blok litt unter großen Schuldgefühlen und war überzeugt, seinen Geliebten nur Verderben zu bringen. Verzweifelte Stunden und tiefe Depressionen wechselten sich ab mit ausgelassenen Stunden in Kneipen und Restaurants, wo er Zigeunerlieder schmetterte und Nächte durchzechen konnte. Viele Abende verbrachte der Schriftsteller im Theater. Blok liebte das Theater und verfasste neben seinen vielen Gedichten auch kleinere Dramenszenen und -entwürfe.
„Er war dem hellen Abend ähnlich: kein Tag, keine Nacht, kein Licht, keine Finsternis …“ So beschrieb der russische Schriftsteller Michail Lermontow seinen Dichterkollegen Blok. Blok wurde von düsteren Vorahnungen geplagt und sah sein Zeitalter eher pessimistisch:
Das 20. Jahrhundert … / Ärger… / wird obdachlosen / Lebens Dunkel, noch /
schwärzer / und ganz riesig / werden uns oben / Luzifers Flügel …
Seine zerrissene Grundstimmung verstärkte sich noch, als es in Russland zur Revolution kam. Blok stand der Revolution – trotz seiner adligen Herkunft und seiner festen Verwurzelung in orthodoxen Werten und Vorstellungen – zunächst durchaus positiv gegenüber. Er sah die russische Revolution eher als mystisches Ereignis denn als politische Umwälzung und brach mit der Bourgeoisie, die seine Gedichte so bewundert hatte. Doch die Bolschewisten lehnten Bloks metaphysischen Stil ab, was den Dichter sehr traf.
Innerhalb kurzer Zeit verarmte der einstmals so erfolgreiche Blok und besaß kaum das Nötigste zum Leben. Mitten in diesem Elend verfasste er im Winter 1918 sein vielleicht berühmtestes Werk, das Poem „Zwölf“. Er stellte in mehreren Cantos mittellos gewordene und verzweifelte Bürger zwölf Soldaten der Roten Armee gegenüber, die mit der Fahne der Revolution durch den Schnee ziehen und schließlich von einer messiasähnlichen Figur geleitet werden. Das Gedicht verursachte eine enorme Kontroverse und wird noch heute intensiv diskutiert. Ob Blok mit einer Seite sympathisiert und, wenn ja, mit welcher, ist in der Forschung nicht mit Sicherheit geklärt. Das Gedicht wurde in viele Sprachen übersetzt, unter anderem übertrug Paul Celan das Gedicht ins Deutsche.
5
Bereits mit 40 Jahren starb Blok 1921 in der Wohnung seiner Mutter in Sankt Petersburg. Vergeblich hatte er zuvor versucht, eine Ausreisegenehmigung zu bekommen.
Bloks geistiges Erbe ist immens. In seinem Werk findet man nicht nur kunstvolle und schwärmerische Gedichte, sondern auch schlichte Poeme mit einfachen menschlichen Themen. Obwohl ihm nur ein kurzes Leben vergönnt war, findet man in seinen Gedichten die ganze Wandlung vom metaphysischen Dichter zum feinsinnigen Beobachter, der die Situation in Russland in den Jahren nach der Oktoberrevolution porträtiert.
Wolfgang Kawelmacher
Inhalt
Einleitung 5
An die Muse 7
Die Unbekannte 9
Du sagst mir, 12
Ihrer Augen 14
Im Restaurant 15
Petersburg 17
Durch die morastig’, leere Wiese 18
Der schwarze Rabe 20
Versuch das Zurückkehren 21
Der susale Engel 23
Petrograds grauer Himmel 25
Nach den Inseln. 28
Das Stück aus dem Poem ... 30
Die Todestänze 32
Von Heldenmut, 35
Erinn’rst du dich an stillen 37
In den hellen Nächten ... 39
Der Nachtigall Garten 41
Kommentare: 50
Bemerkungen der Übersetzerin 53
Über Inna Zagrajewski – Dichterin und Dramaturgin 54
Über Wolfgang Kawelmacher 54
6
An die Muse
’s gibt in deinen
geheimen
Gesängen
Schicksals Nachrichten
Über’n Welttod.
In Verfluchung
den heiligen Regeln
Gibt’s Beschimpfung
die glücklichen Wort’.
’s gibt in dir solche
ziehenden Kräfte …
Und ich bin
so zu sagen bereit:
„Du erniedrigst sogar
auch Engel
So unirdisch ist deine
Schönheit!“
Und wenn Du über Glauben
redest,
Hellt entzündend herum
deinen Kopf
Der rotgraue ... Kreis
aus Perlen,
(Vorher schon ihn zu sehen –
gab mir Gott …)
Welche bist Du –
gut, böse –
wer weiß es?
Du – nicht hiesig’ –
Du kamst
aus Weit’n,
du – für andere
„Muse“ und „Wunder“
Bist für mich –
nur Inferno und Leid’n.
Wir –
ich wollt’s –
Wären Feinde
geblieben.
7
Denn warum
schenkst Du mir
jeder Fall
Blumenwiese,
mit Sternen –
den Himmel,
Auch die Flucht
der Schönheit vom Weltall.
’s waren
nordische
Nächte viel böser,
betrunkener, als Ai-Wein1,
Auch kürzer
als Lieb’ der Zigeuner
Dein Liebkosen
und dein’ Zärtlichkeit.
Es gibt
auch die tödliche
Freude,
Als Du trittst auf
heiles Gesetz ...
Aber süß sind
und bitter, wie Wermut
Diese Leiden,
trotz allem,
für’s Herz!
______________________________
1 Ai-Wein – sehr romantische Wein-Sorte
8
Die Unbekannte
Am Abend,
– Restaurants sind offen –
Ist Sommerluft
so süß und heiß
Und es herrscht
über groben Zurufen
Der frühlingshaft’,
verderblich’ Geist.
Dort, in der Weit’
der Gassen Staub,
In Langweil’
sommerlichem Ort’
Sieht man den golden Kringel2
der Bäckerei’,
Das Kindergeschrei schallt
in das Ohr.
Die Ruder knarren über’m
See,
Hört man Gewinsel
von dem Weib,
Und in dem Himmel, alles sehend,
Krümmt sich sinnlose
Mondesscheib’.
An jenem Abend
Ist mein ‚einzig‘ Freund
In meinem Glas
zurückgeworfen,
Er ist durch Wasser
so geheimnisvoll –
Genau wie ich,
ganz ruhig geworden.
Und neben den benachbart’
Tischlein, dort,
Wo Diener stehen
_________________
2 Brezen
9
– fast schliefen ein –
Sitzen Säufer mit Kaninchen-
augen,
„In vino veritas“ – sie schreien.
An jedem Abend –
zu der gleichen Zeit
(Ob diese träumt,
Nur träumt –
und weg!)
Ist Mädelstatur,
die mit Seid’ umweht
Im matten Fenster
sich bewegt.
Sie, langsam gehend
zwischen Trunkenbolden
Ohne Begleitung,
immer einsam,
Mit dem Parfüm
Und Nebeln
atmend,
Setzt sich gerade
an Fensterrahmen.
Es weht mit den uralten Sagen,
Liedern
Von ihren fest gespannten
Seiden,
Von ihrem Hut mit Federn –
Trauern,
Von der mit Ringen
schmalen Hand.
Jetzt, angekettet
ihrer Nähe,
Schau’ ich durch ihren
dunklen Voile3
Und sehe den bezaubernden
Strand des Meers,
____________________
3 Schleier
10
Sehe die bezaubernde
Weit’.
Die weiß’n gebog’nen
Straußenfedern ...
Sie wiegen im Gehirn,
sie schwanken,
Und blaue, bodenlose
Augen
Blüh’n auf diesem
weiten Strand.
Es gibt was, das mir
anvertraut wird,
ein fremdes Herz
gegeben wurde –
Und alle meiner Seele
Windungen
Sind jubelnd
mit dem Wein durchdrungen!
Die Kostbarkeit
lag in der Seele,
Zu ihr nur ich
hab Schlüssellein
Also: Du, Monster,
der Betrunkenen,
Hast Recht:
„Die Wahrheit liegt im Wein!“
11
***
Du sagst mir,
daß ich schläfrig bin,
Du lachst anzüglich
und noch wieder.
Du willst mich viel mal
sagen zwingen:
„Ich liebe dich,
ich lieb’,
ich lieb’!“
Deine südlich’ Stimme
ist so zart,
Dein’ Statur ist so dünn
und biegsam.
Ich aber kam
aus and’rem Land
Mit Schneesturm
und Sturms Gewinsel.
Dein Walzer –
er ist
nicht für mich:
Seine leichten Klänge,
duftig’ Wolken ...
Du bist für mich –
ein schönes Bild,
Das durch den Schnee nur flimmern
konnte.
Ich mag nicht
deinen Namen
nenn’n.
Der Name ...
Was ist in den Namen?!
Ich möchte nur
unruhig sehen
Mit den aufgeregten
Augen
Die Züge,
die ich längst vergaß,
12
Die doch
zu Tagen mich
einluden,
Die mit der vollen Schnee,
Nacht
In ein Mal
getötet wurden.
13
***
Ihrer Augen
Blick,
Den ich doch
fang ...
Sie aber schauten nicht,
gar nicht:
Sie haben Angst
Grenz’ zu verbrenn’n,
Die zwischen beiden
aufstanden.
Wenn ich da unten Marmor
Säul’,
Voll mit dem Kummer,
komme später
Und sehe ringsherum
durch Schatten,
Der auf mein Gesicht
schon fällt,
Sie werfen mir,
mir, so Einsamem,
Ihr’ kurzen,
Ihre stolzen Blicke
Und mit
den zitterigen
Fingern
Berühren
die unruhige Seid’,
(Das Blut, das zu den Wangen
fließt,
Versteckt sich nicht
im Spitzenrauch),
Dann lese ich;
in ihren Augen
Die Lieb’,
die mir nicht nötig
ist.
14
Im Restaurant
Ich vergesse es niemals ...
Ob er war oder nicht war
Dieser Abend?
Beim Morgenrotrand
Wurde aufgedeckt
auch breit
blasser Himmel,
Wo die Lichterlaternen
noch brannten.
Ich saß im Restaurant,
dessen Halle ganz voll war,
Sangen Saiten
von Liebe so fein …
Habe ich dir
geschickt
Im Pokal
schwarze Rose,
In dem vollen
mit goldnem Ai-Wein.
Du blickst mich an...
Ich hab ihn
getroffen,
Stolzen Blick ...
Und ich hab dir
gekniet.
Schauend auf den Kavalier,
Sagtest du scharf,
verächtlich:
„Dieser ist
in mich auch verliebt!“
Und sofort irgendwo
Spielten laut
die Saiten,
Bogen der Violinen
Fingen an
den Gesang,
Aber du warst schon
mein,
15
Ganz,
mit deiner Verachtung
Auch mit leichtem Zittern
der Hand.
Auffahrend, wie ein kleines
erschrockenes
Vöglein,
Gingst du weg,
wie der Traum,
vorbei ...
Atmet’ auf
Parfüm,
Bebten
Augenwimpern,
Ängstlich flüsterte
Seide vom Kleid.
Aus der Tiefe der Spiegel
warfst du
heimliche Blicke,
Und sie werfend,
riefst du mir:
„Nun fang!“
Und die Halsketten
klangen,
Die Zigeunerin
tanzte
Sie fast kreischend
von Liebe uns sang ...
16
Petersburg
In jenen schon vergang’nen
Jahren
War Petersburg
noch stark
und droh'nd,
Obwohl nicht schwerer
und nicht rauer
Newa vor Burg
die Wogen
rollt.
Der Stick4
war hell,
Courante5
weinte.
Die gleichen waren
Damen und Frante,
Die auf Insel
getragen
wurd’n.
Das Pferd hat
mit dem leisem
Lachen –
Wie damals –
gab dem Anderen
Antwort
Durch Pelz
sich mischend,
Schwarz’ Schnurrbärte ...
Sie kitzelt’
Augen und Münder ...
Genau so ich –
mit dir
du, Liebling,
Flog über Nacht,
und nichts
__________________
4 die Spitze auf der Petropawlowski-Festung in Sankt Petersburg
5 die Glockenuhr auf dem Turm
17
vergaß
Es war
trotz alledem
unsinnig ...
Kein Glück ...
Kein’ Zukunft ...
Kein Spaß ...
18
***
Durch die morastig’, leere Wiese
Fliegen wir
allein,
Dort liegt,
wie Karte in Halbkreisen,
Das Lichteland.
Weissag, wo auf dieser Karte,
mein Kind,
dein Leuchtturm ist?
Dann mutiger in deine Augen
Nachtdunkel fließt ...
Der Meeresstrand
kann nicht
verstecken
Die Weite
der Flusseben’
Und wird die Atmung
bitter, stärker
Von dem Parfüm
und Nebel.
Ich drücke Ringe
unter Handschuhe ...
... Streng’s Anlitz ...
... Feiner Duft ...
Ich hör’ das Echo
über Einöde,
So laut
von Pferdehufen.
Sagt alles über des Weltalls
Höhe.
Sie habend keine Grenz’,
Hilft sinnlos
(Wie dies’ Welt)
zu fliegen
uns
Durch die Nacht
so glänzend …
19
Der schwarze Rabe
Der schwarze Rabe
– im Dunkel der Schnee …
Der schwarze Samt –
auf braun’n Schultern ...
Nette Stimme
von fremdem Sänger
Sing mir
über südliche Stunden.
Auf dem Herzen ist
ängstlich und lustig
(Ob ich Meerruf ’ bald
bekommen werd’)
Über dem bodenlos’ Abgrund
ohne Zukunft,
Außer Atem fliegt,
Traber –
das Pferd.
Meine Münder ...
und auch dein Atem
Schnee Wind
in dem Schneefall …
Du, Valentine6 ,
der Stern …
der Traum,
's ist dein Lied, das
von der Nachtigall.
Häßlich’ Welt …
Sie ist eng
für Seele …
Dort gibt's nur
deiner Küsse,
Lüg’
Auch Qualen
Zigeuner Sänge –
Und eilig’
Kometen
Flug …
_______________________
6 Name der Frau
20
Versuch das Rückkehren
Sie hauchte –
genau wie vorher,
Ihr Geist
und auch Lebensstrahl
In meine einsam’ kalte
Wohnung
Und in gequälten Körper
ein.
Wie Himmel,
lastete
von oben
Und ihr entgegen konnt’ ich
nicht
Sogar mit meiner Hand
bewegen …
Noch sagen
„Ich vergaß dich nicht!“
Das irdisch’ Herz
ermüdet’ weiter
Das irdisch’ Glück …
Es kam so spät
Und es ist jetzt schon
weggeritten
Auf dem schnellen
„Troika-Pferd”
Ich wurde längst –
– ganz krank,
total schon ...
Mit and’ren
lebt’
Von and’ren
dacht’ ...
Ich lieb’ nur den Untergang
der Sonne
Und hab’ kein’ Angst
vor neuer Nacht.
21
Die Ewigkeit schaut mir
in Augen
Die Ruhe kam
in mein Herz,
Die Feuchtigkeit
der Nächte, so blauen ...
Sie schloß sich Freude
und auch Schmerz.
... Ich schaute
ganz ruhig, lange,
Sie war so grämvoll,
so betrübt ...
Und es wurd’ zwischen uns
kein Leiden,
Auch kein’ Kränkung
und kein Glück …
22
Der susale7 Engel
Auf ’nen schönen
Tannenbaum,
Und die lustig’
Kinderspiele
Schaut’
der susale Engel
Durch die Riss’
versperrter Türen.
Als die Amm’ den Ofen
wärmte ...
Und als Ofen wurde
wärmer,
Schmolz der Engel,
deutscher Engel8,
Ihm ist weh und heiß
in Wärme.
Es verschmelzen
seine Flügel,
Nun das Köpfchen fällt
nach unten
Biegen sich – aus Zucker –
Füße
Und sie liegen im süßen
Pfützchen.
’s wurd’ danach das Pfützchen
trocken ...
Sucht man ihn –
„Er ist verschwunden!”
Alte Amme hat
kein’ Antwort,
Kann nichts sagen,
nur verwundert ...
______________________
7 Blattgold
8 ein schönes Spielzeug aus Deutschland
23
So –
zerstört sich
und schmilzt auch
In der brennend’
Lebensflamme
Unter lärmend’ Lebens
Eile
Brüchig’ Schaffen
von dem Traum!
Ja, sterbt doch!
Benutzt euch –
keine!
Kann sein –
etwas heimlich sehend,
über euch wird
Mädchen weinen,
Schelmin – Mädchen,
Lebend’ Seele …
24
Petrograds grauer Himmel9
Petrograds grauer Himmel
trübt’ sich mit dem Regen:
In den Krieg ist die Staffel
gezogen.
Ohne End’... Zug nach Zügen ...
Der Barrn nach Barrn ...
Füllend aus den Wagen
nach dem Wagen.
Blühten dort
nicht einhundert’,
sonst tausend Leben,
Schmerz der Trennung,
Unruhe der Lieb’,
Kraft der Jugend,
die Hoffnung ...
In der Abend Fern’
Waren rauchend’ Wolken
im Blut.
Tretend ein in den Wagen,
sang Einer „Warjag10”,
And’re –
laut, falsch –
sangen „Ermak”.
Und sie schrien’
„Hurra!”
Und sie, lachend vom
Witz,
Kreuzten sich
insgeheim
mit der Hand.
... Zitternd hob sich
nach oben
____________________________
9 Das Gedicht stammt aus dem Jahr 1914 (zur Zeit des Ersten Weltkriegs). Blok war gegen den Krieg
10 Warjag und auch Ermak sind Russische Kriegslieder
25
Das fallende Blatt,
Winkte auch
das flimmernde
Licht.
Unter den schwarzen
Wolken
Hat Bläser,
ganz jung,
Zu der Abfahrt Signale
gespielt.
Voll mit des Krieges Ehre
Weint’s Hörnchen
danach,
Regnend auf die Herzen
der Leut’
…Räder Knarren
vom Zug,
Heiser – der Pfeife –
Klang’
Die mit Schreien:
„Hurra”
wurd’n betäubt.
Und die Bremsen,
die Letzten,
im Dunkel verschwand’n,
Brachten Stille
bis zur selben Weit’,
Aber von nassen Feldern
hört man noch: „Hurra”,
Wie die Worte:
„Es ist doch die Zeit!”
Nein, ich war
nicht betrübt ...
Sagt nicht –
„Es tut mir leid!”
’s war der Wind
und der Regen so kalt.
Gegen den klaren, treuen,
6
und so starken
Stahl
Was ist Kunmer
und Traurigkeit?
Das Mitleid...
Es verhüllte der Rauch
des Brands
Der Kanonen Lärm,
Stampfen der Pferd’.
Und der Kummer ...
Ihn deckt giftig’ – des Wassers –
Dampf,
Voll mit’m Blut
von Galizie Feld’r11 …
___________________________
11 gemeint ist der Kampf in den Feldern von Galizija 1914 (West– Ukraine)
27
Nach den Inseln.
(Mit seinen bitteren Tränen)
Der Frühling
mit den bitteren Tränen
Hat damals über uns
geweint.
Das Pferd erschrak
vor weitem Feuer,
Aber es jagte
in die Weit’.
Du nanntest mich „unmenschlich”,
Liebling,
Du, die schon längst
War nur
für dich.
... Der Wind ... Er wehend
Gegenüber,
Macht kalt das Kleid
und das Gesicht.
Du – ohne Worte.
aber wieder
Ließt mich nicht
voller Feuer
sein,
Es war sonst leidenschaftlich’
Himmel,
Der Himmel war mit mir
dabei.
Seitdem wurd’ mir
egal
Wann, welche
Die Münder küssen,
Schulter –
umarmen.
In welche Gassen
dunkle, enge
28
Den bösen, schnellen Traber
zujagen.
Mir wurd’ egal,
Wer atmet.
flüstert,
Nur eins:
zu eilen
und zu reiten.
Zu hören
von dem Pferd
die Hufe
Mir nahe,
oder aus der Weit!
Also, bewegt
von jedem Augenblick.
(Ging einer weg.
sonst and’rer blieb.)
Jetzt fühlend
künftiges Verderben,
Bin ich gehorsam
nur der Lieb’.
Wenn ich allein bin
selbe mit selben
erinnere ich mich
an alte Daten,
Geht dann vor mir, schon
ohne Leiden,
Dein längst schon ohne Nimbus,
Schatten.
Mit der Entzückung,
mit dem Vorwurf.
Ob Rache nehmend.
habend Haß ...
Ob Verurteilung
bringen würdest
Ich weiß nicht.
weil
ich
dich
vergaß ...
29
Das Stück aus dem Poem ...
Wenn du rastlos bist
ohne Rest
Von Sorge, Kummer,
oder Menschen ...
Wenn unter
einer Graben-Decke,
Was du geliebt hast,
Längst schon
schläft,
Wenn du auf der Öd’
des Winters
Schon alt und krank
auf Wegen gehst,
Wenn du nach Haus
zurückkehrst
Und Schnee Eis
legt sich
auf Wimpern,
Bleib’ stehen
an einem Augenblick.
Um Stille von der Nacht
zu hören.
Dann hörst du doch
das andere Leben,
Das Tags
vor dir ganz heimlich
liegt.
Du endlich
wirst von neuem
sehen:
Die Weit’
der Straßen,
Lichter Schatten.
Die Nacht,
die morgens Stille
erwartet.
Auch den –
unter dem Schnee –
Garten
30
Und Himmel
See aus den Seen.
Du findest
in der leeren Seel’
Geneigt sich über dich
die Mutter.
Mit diesem wunderschönen
Blick
Auf dem Glas
Laternenmuster,
Der Frost, von dem das Blut
erstarrt,
Und danach:
deine alte Liebe
Kommt in dankbarem Herzen
wieder
Du segnest es,
was vorher war.
Du segnest es,
verstehend schon.
Das Leben.
keine Grenze habend.
Ist mehr,
als „Quantum Satis”
Brandes12
Und ist die Welt,
wie immer, schön!
___________________
12 In vollem Maß – Zitat aus Henrik Ibsens „Brand“
31
Die Todestänze
Wie schwer ist für den Toten
bei Leuten zu sein,
Sich heuchelnd, daß er dem Lebenden
ähnlich.
Besonders schwer ist in der Feiertags
Helle,
Ganz dämpfend Knochen Klirr’n –
in dem Festsaal.
Der Lebend’ schläft.
Der Tot’ steht aus’m Grab auf,
Geht in die Bank,
ins Amt, in den Senat ...
Wenn dunkler Tag ist,
dunkelt’s Böse auch,
Und Federn haben feierlich geknarrt!
Der Abend kam ...
Der Regen machte schmutzig
Die Leut’, die Häuser und
übrig’ Albernheit.
Dann fährt „Taxomotor” ...
Er trägt jetzt dies’n Toten
Zur anderen Zerstreuung
in dieser Zeit.
In die ganz volle und vielsäulig’ Halle
Tritt Toter, gekleidet in fein’ Jacke ein..
Der dumme Herr
und auch die dumme Frau
Beschenken ihn mit’m Lächeln, voller
Neid.
Er ist, wie Tier,
von Arbeitstageslänge,
Das Knarr’n der Knoch’n
mit der Musik erstickend,
Drückte er fest die freundlichen
Hände:
32
Um Lebenden als Lebend’
Grüß’ zu schicken.
Dort, bei der Säul’
in dieser Halle traf
er
Die Freundin ...
(Sie ist schon, wie er, tot ...)
Aber in ihren weltlichen Gesprächen
Hören wir endlich ihre echten Wort’:
– Mein müder Freund’,
im Ball ist mir merkwürdig!
– Mein müder Freund’,
die Grabstätt’ ist so kalt!
– Es ist schon Mitternacht,
Sie trotzdem noch nicht luden
zum Walzer – NN,
Die sich in dich verliebt
hat.
Nun sucht NN –
Mit den entbrannten Blicken
nur ihn,
Und wieder – ihn,
Mit der Passion im Blut!
In dem Gesicht
Mit, wie bei ’nem Mädchen
Lippen,
Gibt’s keinen Sinn:
Entzückung von der Lieb’.
Er flüstert ihr
die unbedeutend’ Reden,
Die für die Lebende
bezaubern sein konnt’,
Und sieht er schon, wie ihre Schultern
röten,
Auf die Schulter
beugt sich schon ihr Kopf.
33
Mit scharfem Gift
hat er mit ihr gesprochen,
Dabei unirdische Bosheit beimischend,
verschwindet er …
– Wie klug ist dieser Herr!
– Und er hat doch
mich gern!
In Ihren Ohren ist
merkwiirdig’ Lärm ...
Da Knochen klirren
an den Knochen…
34
***
Von Heldenmut,
von Taten
und der Ehre
Vergass ich auf
trauriger Erd’,
Als dein Gesicht
in dem einfachen Rahmen
Auf dem Tisch
vor Augen
erhellt’.
Für dich dennoch
kam Zeit,
Um wegzugehen ...
Ich warf durch Nacht
den heiligen Ehering,
Du hast dein Schicksal jetzt
dem Anderen gegeben
Und ich vergaß dein schönes
Angesicht.
Die Tage flog’n
dreh’nd sich in dunk’len
Schwärmen,
Zerriss sich meine Seel’
Von Leidenschaft und Wein,
Dann hab’ ich dich
vorm Analoi13 gesehen
Und ich rief dich,
wie meiner Jugend Schein.
Ich rief doch dich,
du gingst -
nicht zurückblickend,
Ich weinte ... Aber du
hast kein’ Nachsicht gehabt:
Du hülltest dich in gramvoll blauen
Mantel,
Aus dem Haus gehend
____________________
13 ein Säulchen vor dem Altar
35
in solche neblig’ Nacht.
Ich weiß nicht, wo
die Ruhe für deine Stolzheit
Du, Liebling, du, mein Freund,
gefunden hast,
Ich schlafe tief ...
Mir träumt vom blauen
Mantel,
In welchem du gingst weg’
aus meinem Land.
Jetzt träum’ ich nicht mehr
von Erfolg und Ehre ...
‘s ist alles vorbei:
(kein’ Jugend,
keine Träum’).
Und dein Gesicht
in dem einfachen Rahmen
Habe ich weg mit meiner Hand
geräumt.
36
***
Erinn’rst du dich an stillen
Hafen,
Wo grünes Wasser
ruhig schljef,
Als die Kolonne
im Kilwater14 –
In diesen Hafen kamen
Schiff?
Vier militärisch’, graue ...
Fragen
Erregten uns die ganze Stund’,
Und braune Matrosen waren
So wichtig’, feierlich’
zwischen uns.
Die Welt begeistert’,
Sie verbreitert’ ...
Aber die Schiffe schwammen
weg.
Wir sahen,
wie sie vier (sie alle)
Der nächtlich’ Ozean
versteckt’ …
Wie wenig brauchen
im Leben
Die Kinder, du und ich,
wir beid’:
Das Herz denn ist bereits
zufrieden
Mit gar der kleinsten Neuigkeit …
Auf der Spitze
Taschenmessers
____________________
14 In der Reihe
37
Fand’st das Stäublein
von weitem Land,
So wird die Welt bewundert,
ähnlich
Dem neblig – farb’nen
Meerstrand!
38
In den hellen Nächten ...
In Frühlings Nächten,
weißen, hellen,
(Man kann den Fluß
von Brücken sehen,
Sie sprachen als ob sie Feind’
wären,
Vergessend „Du” für „Sie“, so leer.
‘s war jeder schön
Und jeder jung
war,
Sie aber,
habend kein Leid,
Bewahrte
die seltsame Kälte
In erstgeborener
Schönheit,
Und Er
mit dem gleichmütig Herzen
Unfähig war
die Liebe zu hab’n.
Sie konnt’ in ihm
kein Feuer anstecken
Und selbst sich in der Ruhe
zubleib’n.
… Der Fremd’ dem Fremden
Driicken sie Hände ...
Der Norden, der schon aufwacht’,
Egal – für Liebe oder Trennung –
39
Verwandelt’
in den Tag
die Nacht.
Im Glanz der Nachtöd’:
ohne Hoffnung,
In der Nachtdämmerung,
nicht eil’nd,
Sah in die blaue Himmels
Kuppel
Geweihte Seel’,
gesamt’ für beid’.
40
Der Nachtigall Garten
(Das Poem)
Ich zerbreche
geschichtete Felsen
In Schlammböden
in der Ebbestund.
Danach trägt Sie fort
mein müder Esel,
Auf rauhem Rücken
Stück für Stück.
Gehen wir bis zu den
Eisenbahnschienen
Laden sie ab –
Und zurück
zu dem Strand.
Führen uns zwei Paar
haarige Beine
Und der Esel fängt
zu schreien an ...
Er schreit laut, er bläst,
voll mit Freude,
Daß so leicht ist für ihn
sein Rückgang ....
... Auf dem Weg,
in dem Schatten
sich erholend,
Breitet sich aus
ein feuchter Gart’n.
Von dem steinigen Zaun
des Gartens
Herabhängen
zu viele Rosen
Sträucher,
Eine Nachtigall
singt schön und laut
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Flüstern irgendwas Blätter auf Bäumen.
Jedes Mal,
hörend den Schrei
des Esels
Bei des Gartens
geheimnisvollem Tor
Hinter’m Tor
lachte Jemand
ganz leise,
Und danach, singend ging er
von dort.
So, zuhörend
unruhigen Gesängen,
Schau ich, meinen Esel
treibend an,
Wie ganz müde von der Hitze
des Tages
Blaue Finsternis
legt sich auf den Strand.
Durch die Sträucher
kriecht schon
das Nachtdunkel.
Heißer Tag –
er verbrannt’ –
in der Fern’ ,
Und der Esel
oh, Armer! –
– verwundert.
„Sag, warum bist du traurig,
mein Herr?”
Ob mir schwindelt
von der heißen Sonne,
Ob das Dunkel lud
zum Träumen ein,
Aber kommt jetzt
oft in meinen Träumen
andres Leben ...
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Wer weiß,
ob wär’s mein?
Was darf der Arme
aus der engen Hütte noch erwarten?
Und was konnt’ es sein?
Ich konnt’ nur
wiederholen die Noten
Aus dem Garten,
wo Nachtigall
sang?
Wenn der Tag schon
versinkt in dem Meer,
Während ich an der Mauer
vorbeigehe,
Sie, die Leichte.
sie winkt mir, sich drehend
Ruft mich durch
ihre Windung und ihr Drehen/
In den rufenden
Winken und Drehen
Hör’ ich etwas
Was längst schon
stumm war,
Und beginne die Qualen zu
lieben,
Lieb’ den Zaun
so unerreichbar.
Es ruht sich aus
der müde Esel,
Das Brecheisen liegt
auf dem Sand,
Aber sein Herr ...
Er wandert, Verliebter,
Durch die Finsternis
der dunklen Nacht.
’s kamen die Qualen wieder
und wieder
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Auch Stund’ über Stund’
floss weg.
Schon – die dornigen Rosen
fielen nieder
Unter nächtliche Taue.
so schwer.
Das Bekannte, das steinige
Pfädchen
Wurde heut’
wie ein heimlicher Pfad
Und er führte
zum schattigen Garten,
Rief in die Tiefe
schattig und matt.
Was wart’ auf mich Lohn oder Strafe,
Wenn ich gehe –
Was finde ich dort?
Könnte ich
an den Nachtigall Garten
Leise klopfen
und kommen durch die Pfort’?
Das Vergangene hat nun
kein’ Freude
Es kommt nicht
mehr zur Tat
meine Hand.
Ich fühl’ es doch:
der erwünschte Freund
Werd ich sein
in dem Nachtigall Gart’n.
Etwas sagte dem Herzen
die Wahrheit,
Daß der Zaun für mich
keiner war ...
Ich klopft’ gar nicht,
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Sie hat selbst
geöffnet
Die geschlossene Tür
in der Wand.
Hier. auf dem feuchten Weg
zwischen Lilien,
Plötzlich
die Violinenbogen
sangen,
Nachtigalls Lied
erfüllend die Ohren,
Hat dabei meine Seele
gefangen.
Diese Welt –
unbekannt und bewundert,
War für mich
voll mit Glück und mit Freud’.
Und so klangvoll
die Armbänder fielen
Noch klangvoller
als in meinen
Träumen.
So, betrunken mit dem
gold’nen Weine
Und verbrannt schon
mit dem gold'nen Feuer,
Ich vergaß über’n Weg
aus Steinen,
Auch ihn,
Den treuen Freund.
Laß mich vor alten Leiden
verstecken
Diese Wand,
die in Rosen
versinkt,
Es konnt’
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die Meeresflut
nicht betäuben
Sogar das schöne Nachtigall
Lied!
Die Unruhe,
aus dem Herzen
kommend,
Brachte den Lärm von den Wogen
Mit.
Plötzlich –
Trugbild:
Ein Weg –
aus Steinen
Auch der müde Esels
Schritt ...
In dem blauen,
dem hellen Dunkel
Sie umfassend mit Händen meine Brust
Wiederholte
unruhig und düster:
„Was ist los, du,
mein Lieber,
mit uns?”
Aber ich, durch das Nachtdunkel
sehend
Wollend nochmal einatmen
das Glück,
Hörte trotzdem mit Herzen
und Seele
Weiten Lärm ...
Es war die Meeresflut.
Ich erwachte
am grauen Morgen.
Wer weiß, wann:
Wieviel Uhr?
Welcher Tag ...?
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Sie schläft noch;
lächelnd hell –
wie die Kinder:
Träumt ihr, kann sein,
von mir
süßer Traum.
Wie schön waren
auf zauberhaftem Morgen
Von der liebe durchsichtige Wang’n,
... Hörend weite
maßhaltende Schläge
Ich verstand.
daß die Flut schon begann.
Ich mach’s blaue Fenster
weit auf,
Und es zeigt sich,
auf ’s neue erscheint
Hinter der weiten brüllenden
Brandung
Der so klagend’
mich rufende
Schrei ...
Esels Schrei war so lange – so lange
Er kam,
ähnlich dem Stöhnen
in Ohren
Und ich mach’ zu
den seidigen Vorhang,
Um den Traum
noch nicht aufzuhören.
... Gehend weg
von den Steinen
des Zauns
Stört’ ich der schönen Rosen
Schläfrigkeit
Ihre Dornen
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wie des Gartens
Hände,
Fassen mich, griffen
nach meinem Kleid
Alter Weg,
so bekannt,
gar nicht lange,
War an dies’m Morgen
doch lang und schwer.
... Dort sind Haus.
und Esel
geblieben.
Ich tret’ auf den Strand.
vor dem Meer.
Vielleicht hab’ ich mich verirrt in dem Nebel
Oder macht mit mir jemand
den Spaß?
Nein, ich weiß es –
ich sehe ihn wieder:
Dürrer Strauch,
Der Fels über’m Wasser…
Wo ist’s Haus?
Mit gleitenden Füßen
Stolpr’ ich an das Brecheisen
im Bruch,
Schwer und rostig,
Da, unter den Felsen,
Fast versunken
mit dem nassen Ufer.
Mit dem Schwung,
(die geübte Bewegung)
Als ob’s ein’ Traum wär,
ob ich schlief,
Hab’ ich mit dem Brecheisen geschlagen
Gegen schichtigen Stein
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in der Tief'.
Aus’m Wasser,
Wo graue Kraken
Wiegten sich
in dem lazurnen Spalt’,
Klettert’ Hummer
in Unruhe geraten
Und setzt sich auf eine
Sandfalt’.
Ich bewegte mich,
Er hob sich
höher,
Sperrend auf
die Zange
so breit,
Und hat danach den and’ren
getroffen,
Schlugen sie sich
und verschwanden sie beid’…
Auf dem Pfad
(ich hab ihn ausgetreten),
Wo mein Heim war
und die Hütte
stand,
Ging der Arbeiter
mit’m Eisenspaten
Aber den fremden Esel
trieb er an.
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Kommentare:
„Die Unbekannte”
Dies ist das eleganteste Gedicht von Blok (dabei wurde es am Anfang seines poetischen Wegs geschrieben). Das Gedicht wurde sofort zu der Fahne einer ganzen literarischen Richtung, die „Symbolismus“ heißt. Es war der prätenziöse Versuch des jungen Dichters Anfang des 20. Jahrhunderts, die Poesie von der Prosa zu trennen, und zu ausdrücken „was nicht unausdrückbar ist“. Symbolisten strebten danach, eine eigene, esoterische Sprache zu schaffen, um anstatt über Realität über Hohes zu sprechen.
Als Vater des russischen Symbolismus gilt der russische, klassische Dichter Afanassij Fet, der erste musikalische Gedichte zu schreiben begann (mit „nebligem“ Adressat, in denen er als Erster „Sie“ sagte, aber wer „Sie“ war, war nicht klar – das Mädchen, die Fee, die Nacht, der Frühling, die Sterne, die Muse des Dichters u.s.w.).
Nach dem ersten, anspuchsvollen Buch von Alexandr Blok „Gedichte über die wunderschöne Dame“ (dem Buch, in dem reine, poetische Meisterschaft erkennbar war), erschien „Unbekannte“. Ein Meisterwerk, das man entweder als eine kurze Ballade oder
als irgendetwas noch im Stil des Kanons aus dem Lebenswandel Literatur, in mittelalterliche Genre, beschreiben kann, ist: „Erscheinung“. Das Gedicht ist mit Blut oder mit Wein geschrieben. In ihm wird eine sinnlos ziehende Zeit eingeprägt (was man an der absichtlich hingezogenen Exposition erkennen kann), durch die – ähnlich Blitz und Donner – sich eine „Erscheinung“ zum Helden niedersenkt.
Also ... Es beginnt mit der Datschen Siedlung in „Oserki“ – beschrieben werden die Gasse, holzerne Zäune, Schilder, Teiche, wanderende Bewohner ... Es sind so „langweil“ die Worte „man hört“: „Gewinsel der Frauen“ oder „der Kinder Schrei ...“ Danach – genau wie im Kino sofort – von dem hinteren Platz zum vorderen – die Kneipe beim Bahnhof! Die Krüge mit Bier ... Tische ... schläfrige Kellner ... Und „Sie“, die Hure, die zu „bestimmter Zeit“ ins Restaurant kommt. Sie wird nicht beim Namen genannt, nur am Anfang: „Mad’l Statur“ ... Danach werden die Einzelheiten der Toilette, Parfum, Schleier. die schmale Hand mit Ringen beschrieben. Es ist „die Sprache des Geheimnisses“. Aber alles ist – Realität! Sogar das Mädchen, das so bekannt für Blok war. Die Seele des Helden erfüllt sich mit betrunkenem Glück! Interessant, daß, wenn in der „Wunderschönen Dame“, die Heldin die Fee war, im Gedicht die „Unbekannte“ „die Fee der …Wirklichkeit” wird. Aus diesem Gedicht war sofort etwas anderes geboren (beide waren zusammen veröffentlicht).
In einem zweiten Gedicht zur „Unbekannten” wurden nämlich die wichtigen Worte gesagt: „in dieser geheimnisvollen Abgeschmachtheit”. Es ist also doch richtig: diese Gedichte sollen zusammen sein. Eines ist der Kommentar zum Anderen, und das zweite zum ersten ...
„Hier löben sich Damen mit den Kleidern / Lizealschiiler hat Glanz auch / Hier über Datschen, über Garten,// Über den sonnig Seen Staub./ Hier, zeigend mit dem rotten Finger / auf promenieren datschen Leuten / erhob sich über Bahnhofs Schienen,// Das unerreichtbar Morgenrot./ Dorthin, wo rauscht bier im Kenren//In dem Ereilen, in dem Rauch/Durchdringt Vual mit schwarzen „Flieglein’n”,//Die feine Züge, schöne
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Augen, / Dort. wo man quält sich in Langweile// Erscheint sich mir, manchmal kommt Sie, /So niedrig’, und so schamlos auch// Trotzdem so stolz sie aussieht /was konnt’ erwarten ich vom Treffen //Mit dem bezaubernden Stern, / Ich, der mit’m Wein, der Morgenrote//Auch mit Ihr bezaubert werd’? / In Abgeschmackheit, aber reizend/ Sag’ mir doch, was ich machen soll/ /Mit dir, unfassbar’, dir so einzig’//Wie Abend, zart, mit’m Blau voll ...“
Die Übersetzerin weiß, dass ihre Übersetzung dieser Gedichte nur eine blasse Kopie vom Original ist.
„Durch moosige Wiese“
Dies ist ein Vers aus den „tollkühnen“ Gedichten von A.Blok. Es gibt hier gewöhnlich für die „verderbte“, leidende, sterbende Seele des Poeten eine Landschaft: der Schilf an den beiden Seiten des Damms (hier heißt es „die Wiese“) entlang. Er führte zu den Inseln, wo die Hauser-Höhlen sind ... Die Nacht ... Das jagende, gemietete Pferd ... Am Horizont – in der Weite erscheinende Lichter. („in Halbkreisen“) ... Der Duft des Parfüms der Frauen ... Der Poet bittet seine zufällige Freundin zu erraten, wo zwischen diesen Lichtern sie übernachten werden ...
... Im Jahre 1909 von seinem Vater das Erbe antretend, gewöhnlich – fleißig, geputzt, das Geld mit literarischer Tätigkeit verdient, verwandelt er sich für einige Zeit in einen, der das Leben sinnlos verprasst. Natürlich war es nur Theater, aber tödlicher. Nur seine Mutter verstand alles richtig – denn ihr hat er alles erzählt.
„Der susale Engel“
Hiermit ist Blok kein guter Versuch gelungen, ein Gedicht für Kinder zu schreiben, gar ,,für Kinder vorlesen“, – wie man am Ende des 19 Jahrhunderts gesagt hatte. Das Gedicht wurde 1912 veröftentlicht. Dem Thema des Gedichts liegt die Erzählung ,,Engelchen“ des russischen Schriftstellers Leonid Andreew zugrunde. Aus diesem Gedicht wird die Kindheit von Blok, voll mil der Liebe und den Sorgen, ersichtlich. Es wurde fein, kompliziert und philosoplisch geschaffen.
„Petrograds grauer Himmel ... “
“Petrograds grauer Himmel“ ist im dritten Monat des Ersten Welt Krieges geschrieben worden, im September 1914. Das Gedicht ist nur das einfache Zeichen aus der Natur, „die Begleitung eines Militaj-Zuges“. Anfangs hies es: „An den Krieg“.
Im Grundrhythmus des Gedichts liegt der Hinweis zu dem beruhmten, tragischen Ballade von Walter Scott in Übersetzung von Wasilij Zhukowskij „Schloß von Smalgolm“, sogar der Text ist ein fast vollständiges Zitat aus dem Gedicht: „Von Galizien blutigen Feldern.“
Das Gedicht „Petrograds grauer Himmel“ ist nicht das einzige trostlose Gedicht aus der Vielzahl der patriotischen Gedichten, von denen in diesen Tagen die Zeitungen und Zeitschriften voll waren. Blok versucht in diesem Gedicht mit seiner Zeit eins zu sein, sogar eine Rechtfertigung des Krieges zu finden. Aber er kann nicht: der Künstler im Dichter besiegt den Patrioten: „ In jedem Artist lebt die Eselfrau von Walaam“, so sagte
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Leo Tolstoi,– er wollte segnen, aber er fluchte, wollte fluchen, aber segnete ... Den Rhythmus „Des Smalgolmski Schloß“ für das Gedicht wählend, verfluchte Blok den Krieg.
„Die Todestänze“
Dies ist ein echtes „deutsches“ Gedicht von A. Blok. Es wurde im Jahre 1912 geschrieben. Blok beschrieb sich und seine Bekannten als „lebende Toten“. Im Manuskript nannte er das Gedicht auf Deutsch: „Toten Tanz“.
„Erinnerst du dich an stillen Hafen“
Dieses Gedicht ist in Frankreich entstanden, wo der Dichter sich im Sommer erholte. (Atlantik, Aberwrack). Im kleinen Kurort kamen abrupt die militärischen Schiffe, französische militärische Eskadre. Die Matrosen, genau wie sie sein sollen, waren wichtig und stumm. Blok hat (wie gewöhnlich) vorhergesehen, daß in der Welt etwas vorgeht. Es war kurz vor den Ersten Weltkrieg.
„Der Nachtigall Garten“
„Der Nachtigall Garten“ wurde 1915 veröffentlicht. In der Landschaft des Poems reflektieren die Erinnerungen des Dichters an den kleinen Ort Getary im Süden Frankreichs (Biskaya am Atlantik), wo er zusammen mit seiner Frau im Sommer 1913 weilte …
Für Blok ist „Der Nachtigall Garten“ keine Allegorie, sondern die Erklärung für ihn selbst, für sein Recht auf Einsamkeit, auf eigene Gefühle und Leben. „Der Nachtigall Garten“ ist auch der Kampf für das Recht der Kunst auf die Unabhängigkeit vom Leben, (die alten Themen.von Fet, „Nachtigall Ruhe“ – es ist sogar Fets Terminus, russische Literaturwissenschaftler nennen dieses „Estetismus“). Im Poem sieht sich der Dichter als einfacher Arbeiter-Tagelöhner. „In die Kunst zu gehen“ bedeutet: seinen Esel, seine Werke zu übergeben. Das Poem ist sehr Kinematographisch: Meer, Felsen, die haarigen Beine des Esels. Es gibt keine Heldin, sie ist nur fühlbar. Im Unterschied zu Fet, der die reine Kunst deklariert, hat Blok viele Zweifel, ob es rechtens ist, im Paradiesgarten zu leben. Er ist edelmütig und bereit sich zu opfern. Er ist Freund der Arbeit und ein Feind des Geniessens. Aber Blok selbst ist nicht hier und nicht dort.
Das Poem „Nachtigall Garten“ ist das beste Poem von Alexandr Blok: Trotz Undeutlichkeiten überwiegt das echte Leiden und die Lyrik. Am besten erwiesen sich Esel und Krabbe ... Und auch „der Vers“ von Blok, bezaubernder Vers ...
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Bemerkungen der Übersetzerin
Aleksandr Blok zu übersetzen, ist gar nicht so schwer: Blok hat in klassischer, russischer, literarischer Sprache geschrieben, in der die Sprache, in der Puschkin, Lermontow und Tutschew geschrieben haben.
Er hat keine spezifische Sprache, keinen „Slang“, und am wichtigsten ist: bei ihm fehlt die klangliche Metophora, die alle nach Blok schreibende Dichter unübersetzbar macht ... Ein Vers von Aleksandr Blok ist einfach, bescheiden, streng und ausgeglichen. Blok war der vierte in der Reihe der russischen Genies, die süße Stile geschaffen haben.
Blok war kein Pretenzios, obwohl seine welttypische, artistische Welt voller Extravaganz war: er war immer intelligent, er war immer „angenehm“ und „nett“, im Unterschied zu den riesigen Leidenschaften von Zwetaewa. Nur im Poem „12“ hat Blok einen Schritt zu neuer Poesie gemacht. Ja, es ist nicht schwer, Blok zu uhersetzen – aber es ist schwer, aus seinen Gedichten zu wählen. Durch den Ruhm machte Blok Gedichte von schlechtem Geschmack – sie schockierten sogar seine Zeitgenossen, die seine Gedichte liebten.
Blok gehört zur „glücklichen Generation“, die man nicht zwingt, nicht kauft, nicht schindet, ihn zwingt man nicht, die Bestellung zu schaffen. Sogar in sehweren Zeiten blieb Blok der Poesie treu, voller Traurigkeit, voller Reue. Fur ihn blieb die Poesie das Schutzgebiet des Stils.
Aber es gibt von Blok auch Gedichte voll schwerer Allegorien. Es handelt sich urn Gedichte über Russland. Sie sind wie gewöhnlich schön, aber sie sind voller Dekadans, viele von ihnen sind einfach echte, „primitive Bilder“ auf russischen „Lubon“. Meine persönliche Feindseligkeit gegen solch anstrengende Allegorien macht meine Auswahl aus Blok-Gedichten einseitig ... Zum Beispiel: für mich ist es unmöglich zu schreiben: „wenn ich auf dem Kreuz in die Weite des blech Fluß wiegen werden“, es ist schamlos. Oder auch das herühmteste Gedicht „Oh Russland, du meine Frau“ ... In diesem Fall sehe ich die große breitknöchige Frau ... Es stört mich, obwohl ich nur Übersetzerin bin, habe ich eine komplizierte Beziehung zu dem großen Dichter, eine Bezichung der Ehe ähnlich. Ich darf auch dabei sein! Es gibt ein berühmtes Gespräch: der große Sänger Schaljapin mit dem Fähnmann. „Ich singe auch“, sagte der Fahrmann, als er wusste, dass Schaljapin singt. Genauso ist das Poem „Zwölf“ nichts für mich: Für mich ist es schwer, Blok voller Folklore zu sehen, das ist für ihn untypisch. Der Zauber Bloks liegt in seiner süßen Stimme, in dünnen Klängen, wie z.B. seine italienischcn Gedichte – aber die sind schon gut übersetzt!
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Über Inna Zagrajewski – Dichterin und Dramaturgin
Inna Zagrajewski hat sowohl die Hochschule der Chemie in Moskau als auch die Fachhochschule des Moskauer Konservatoriums (Klavier) absolviert.
Sie war enige Jahre lang Leiterin des Musiktheaters für Kinder und Jugendliche der Moskauer Kinder-Philharmonie.
Seit 1996 wohnt Zagrajewski in Deutschland, arbeitet als Autorin von poetischen Büchern und ist Mitglied des Verbandes deutscher (München) und russischer (Moskau) Schriftsteller (VS).
Bisher sind folgende Bücher von Inna Zagrajewski erschienen:
– „Frühlingsschatten“, Poem.
– „Lass doch die fremde Sprach’für mich die Hülle sein“. Übertragungen aus der russischen Poesie
– „Helden der Bühne“, Drei Poeme um Puppentheater, Ballett und Zirkus
– „Drei Poeme von Tieren und Menschen“
– „Für Heldenmut, für Taten und die Ehre!“
Wolfgang Kawelmacher
Über Wolfgang Kawelmacher
Wolfgang Kawelmacher wurde 1933 in Moskau geboren. Er war Russlanddeutscher und arbeitete als Architektur-Restaurator mit Fachrichtung Mittelalter. 1937 wurde er mit der Mutter und Großmutter, als Person des deutschen Volks zugehörig, nach Workuta verschleppt. Dort befand er sich bis 1950 unter Kommendaturaufsicht. 1957 hat er an der Staatlichen Hochschule Moskau das Studium der Architektur absolviert. Er war als Architektur-Restaurator in Moskau und Moskauer Gebiet tätig.
Von 1961 bis 1964 promovierte er am Vorschungsinstitut für Sprachenwissenschaft und schrieb die Dissertation über A.Blok („Estetische Ansichte von A.Blok“). Er war Mitglied der „Akademie der Kunst Kritik“ (Moskau). Seit 1996 wohnte er im Deutschland und ist 2004 gestorben.
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